Die Wirbelsäule- ein komplexes Konstrukt mit hoher Fehleranfälligkeit bei falscher Benutzung. Oder anders: wie Kissing Spines entstehen können.
Anatomie
Die Wirbelsäule besteht aus einzelnen Wirbeln. Ein Wirbel besteht im Regelfall aus einem Wirbelkörper, der in den Hals- oder Bauchraum ragt. An diesen Wirbel angeschlossen ist ein sogenannter Wirbelbogen an dem sich zwei Fortsätze zu den Seiten und einer nach oben gebildet hat. Außerdem finden wir hier noch jeweils zwei Gelenke,die nach oben und unten ausgerichtet sind. Damit stellt ein Wirbel die Verbindung zum vor und hinter ihm gelegenen Wirbel dar. Bei den Kissing Spines sind vor allem die Fortsätze, die nach oben gerichtet sind wichtig. Diese heißen im medizinischen Deutsch “ Processi Spinosi ( plural) oder Processus Spinosus (PS; Singular).
Zwischen den PS und oben aufliegend befinden sich Bänder, zur Begrenzung der Bewegung, zur Stabilisierung und zur Energieersparnis. Diese Bänder sind das Lig. supraspinale ( “liegt oben auf”) und die Ligg. interspinale ( verbinden jeden PS mit dem nächsten).
Weiter spielt die Knochenhaut bei dieser Krankheit eine wichtige Rolle. Diese ist stark mit Nerven durchzogen und somit entsprechend schmerzempfindlich. Falls dir ein Tritt vor das Schienbein bekannt ist, weißt du wie schmerzhaft eine Reizung der Knochenhaut sein kann.
Was passiert bei Kissing Spines
Die Dornfortsätze des 12-18. Wirbels sind meist betroffen, wenn es um die Kissing Spines geht. Dabei nähern sich diese im Laufe der Zeit weiter an. Es gibt allerdings auch Fälle in denen Pferde mit Kissing Spines geboren werden. Allgemein kommt es zu Reizungen der Bänder zwischen und auf den Fortsätzen. Diese fangen an sich umzustrukturieren, ihren Faserverlauf zu ändern und knorpelig zu werden. Weiter lassen sich Schwellungen und eine Anhäufung von Nervengewebe nachweisen. Diese gehört in dieser Vielzahl nicht in die Bänder und sorgen für eine gesteigerte Empfindlichkeit. Schreitet der Prozess fort, beginnen sich die PS zu berühren. Dabei treffen die Knochenhäute aufeinander, was zu weiteren Schmerzen und Entzündungsreaktionen führt. Der Körper versucht hilfsweise Knochen anzubauen, um Bewegung zu vermindern und Stabilität ins System zu bringen.
Risikopatienten
Bei Vollblütern tritt eine Häufung der Kissing Spines auf. Gleichzeitig sind Rennpferde öfter betroffen. Man bedenke an dieser Stelle, dass viele Vollblüter im Rennsport unterwegs sind und daher nicht klar zu differenzieren ist, ob diese Komponente genetisch oder trainingsbedingt zustande kommt. Außerdem werden Rennpferde bereits sehr früh stark beansprucht, was ebenfalls zu einer Veränderung der Knochenstruktur führt (/führen kann).
Weiter sind Polizeipferde aufzuführen. Meine persönliche Vermutung ist, dass das lange Stehen und langsame Gehen im Einsatz zur Ermüdung der stabilisierenden Muskulatur führt und damit die Wirbelsäule über Jahre hinweg abgenutzt wird.
Zu guter Letzt gibt es bei den Pferde, die zu den Risikopatienten gehören ein ungünstigen Exterieur. Ein hoch angesetzter Hals, ein langer Rücken und/ oder eine kurze Kruppe sorgen für eine Tendenz zum Senkrücken. Dieser kann je nach Ausprägung ebenfalls zu einem schmerzhaften Rücken führen.
Ursachen von Kissing Spines
Für die Ursachen bei Kissing Spines kommen oftmals mehrere Faktoren zusammen. Hat ein Pferd eine genetische Veranlagung (z.B. Vollblut) und wird dann falsch geritten oder hat schlecht sitzendes Equipment ( Sattel liegt z.B. in der Wirbelsäule auf.) ist die Wahrscheinlichkeit für ein Auftreten der Krankheit besonder groß.
Der wohl offensichtlichste Grund sind Stürze bzw. Unfälle auf den Rücken. Dabei kann ein Knochensplitter an der Wirbelsäule ungünstig anwachsen oder es kommt sofort zur Quetschung der Bänder und somit zur akuten Entzündungsreaktion.
Symptome von Kissing Spines
Die Symptome sind sehr vielfältig und abhängig vom Typus des Pferdes. Dabei zeigte sich in einer Studie nebensächlich, dass Springpferde oftmals später Symptome, wie Schmerz zeigten, als die Dressurpferde es taten. Ob es daran lag, dass Springpferde zufriedener mit ihren vielfältigen Aufgaben sind oder diese einfach eine andere Schmerztoleranz haben, lässt sich hier nicht testen.Kissing Spines beginnen oft als schleichender Prozess. Begonnen mit einem festgehaltenen Rücken und verspannter Muskulatur, bis es letztendlich in Ungehorsam beim Reiten und Sattelzwang mündet.
Typischerweise reagiert das Pferd mit einem druckempfindlichen Rücken. Dies kann zu Sattelzwang und/ oder Gurtzwang führen, da es für das Tier nicht angenehm ist auf dem schmerzenden Rücken etwas zu tragen. Weiter kann es bestimmte Lektionen verweigern oder als Springpferd das Springen. Bei jedem Aufkommen wird die Wirbelsäule gestaucht, abhängig von der Höhe des Sprungs, des reiterlichen Könnens und Gewichts. Außerdem können sowohl Lahmheiten an der Hinterhand, sowie auch an der Vorhand auftreten. Dabei kann teilweise nicht unterschieden werden, ob diese durch Kissing Spines ausgelöst wurden oder die Kissing Spines die Lahmheit auslöste. In beiden Fällen sorgt das Schmerzgeschehen für einen veränderten Bewegungsablauf, der weiterhin schlecht für die Wirbelsäule ist.
Es zeigte sich, dass nicht nur Schmerzen im Brustwirbelbereich, sondern auch im Lumbosakralen Übergang ( vom letzten/6. Lendenwirbel zum Kreuzbein) vermehrt Kissing Spines als Ergebnis zu sehen waren. Dabei wird angenommen, dass die physiologische Bewegung ausgehende vom lumbosakralen Bereich nicht mehr vollkommen gegeben war und dies die ganze Wirbelsäule negativ beeinflusst hat, sodass es letztendlich zu Kissing Spines kam.
Diagnostik bei Kissing Spines
Bei Verdacht auf Kissing Spines wird im Regelfall geröngt um Veränderungen und Abnormalitäten an den Dornfortsätzen festzustellen. Teilweise reicht dies nicht aus, sodass man mit einer Szintigrafie weitermacht. Dabei wird ein radioaktiver Marker ins Gewebe gegeben, der sich kurz, aber sehr gut mit einer bestimmten Apparatur nachverfolgen bzw. aufzeichnen lässt. Zudem ist ein Ultraschall möglich um die Bänder, die nah unter der Haut liegen zu kontrollieren. Dabei können sich Entzündungen und Schwellungen abzeichnen, was als Indiz für Kissing Spines und andere Wirbelsäulenerkrankungen zu deuten ist. Zusätzlich kann mit einer Wärmebildkamera ein Entzündungsherd erkannt, jedoch nicht die Struktur um die es sich handelt diagnostiziert werden.
Ganz wichtig ist an diese Stelle zu erwähnen, dass nicht jedes Pferd, dass einen Befund hat, ein Symptom zeigt. Bei manchen Pferden würde man nicht vermuten, dass sie ein vermeintliches Problem haben. So ergibt sich aus der Studie , dass bei 904 Pferden knapp ⅔ von der sogenannten Norm abweichen ohne Symptome zu zeigen.
Kissing Spine kommt selten allein
In einer anderen Studie fanden die behandelnden Tierärzte heraus, dass Pferde mit klinischen Auffälligkeiten oftmals unter mehr als nur Kissing Spines litten. Dabei traten außerdem noch knöcherne Pathologien wie ( z.B. Knochenzuwachs) Arthritis oder Arthros in den Zwischenwirbelgelenken auf.Durch die Begleiterscheinungen werden die Probleme verstärkt und die Pferde zeigen sich deutlich auffälliger mit ihren Symptomen.. Zusammengefasst bedeutet das, je mehr ein Pferd im Röntgen oder Szintigraphisch auffällig ist, desto mehr wird es Symptome zeigen.
Therapiemöglichkeiten
Je nachdem wie stark die Ausprägung und das Wohlbefinden des Pferdes ist, muss eventuell auf das Reiten verzichtet werden. Dabei ist wichtig, dass die Pferde mit Kissing Spines nicht einfach “ weggestellt” werden, weil sie als unreitbar gelten. Die Muskulatur muss unbedingt erhalten bzw. verbessert werden, um die Wirbelsäule zu stabilisieren und zu schützen. Andernfalls nimmt der Krankheitsverlauf sehr schnell zu.
In jedem Fall ist eine Lösungsphase zu beginn jedes Trainings wichtig. Dabei sollten min. 20 Minuten eingeplant und das vorwärts- abwärts erarbeitet werden. Damit spannen sich die Bänder zwischen den Wirbeln auf und die Dornfortsätze gewinnen Abstand zueinander. Nach der Lösungsphase sollte sich auf das Training von Bauch- und Hinterhandmuskulatur konzentriert werden. Wie du das gestalten kannst, findest du in diesem Artikel.
Wenn du dein Pferd weiter unter dem Sattel arbeitest, ist es wichtig, dass du körperliche Fitness mitbringst um nicht nur als Beifahrer auf deinem Pferd zu agieren. Es ist schlicht nicht zumutbar, wenn ein Reiter seinem Pferd dann auch noch in den Rücken fällt.
Medikamentös
es werden entzündungshemmende- und schmerzlindernde Mittel gegeben, um die Schmerzen zu lindern und das Entzündungsgeschehen herunter zu fahren. Absolut sinnvoll, damit sich das Pferd wieder etwas freier bewegen kann und die Muskulatur nicht in Dauerspannung aushalten muss.
Operativ
Es besteht die Möglichkeit das Lig. supraspinale an den Läsionsstellen zu durchtrennen. Dabei musst du bedenken, dass die Kinematik im Rücken verändert wird und Stabilität abnimmt.
Physiotherapie
Zusammen mit der oder dem Physio/ Osteo kannst du einen Trainingsplan erarbeiten, der auf den Ist- Zustand eines Pferdes angepasst ist. Des Weiteren tun Massagen und Dehntechniken, sowie manche Mobilisierungen gut, um die Muskulatur zu lösen. Außerdem werden bei längeren Entzündungen die Gewebe verändert und Faszien verkleben. Daher lohnen sich bei einer abklingenden Entzündung auch Faszientechnik.
Quellen
Quellen:
http://europepmc.org/article/MED/31089306
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1090023318307743
https://www.st-georg.de/wissen/kissing-spines-das-problem-sitzt-in-der-wirbelsaeule/